Arztkolumne: Den Tagen Leben geben…

Dr. Liane Sickmann, Ltd. Oberärztin der Medizinische Klinik III Onkologie/Hämatologie

23.04.2024

Wer kennt das nicht. Man lernt Menschen kennen, kommt ins Gespräch und wird gefragt: „Was machst Du denn so?“ Wenn ich dann antworte: „Ich bin Ärztin“, kommen die nächsten Fragen und Antworten. Ich behandele krebskranke Menschen. Und als Palliativmedizinerin: Menschen, bei denen sich das Therapieziel geändert hat − nicht mehr Heilen, sondern Begleiten.


Die Krebstherapie hat in den letzten Jahren rasante Fortschritte gemacht. Neben den Klassikern wie Chemotherapie, Operation und Strahlentherapie gibt es zielgerichtete und Immuntherapien. Alles besser verträglich. Mit dem gesamten Portfolio an Krebstherapien können immerhin mehr als die Hälfte der Erkrankungen geheilt werden. Aber es gibt nach wie vor Grenzen. Der Tumor wächst, macht Symptome. Was ist dann? Dann ist da die Palliativmedizin!


In vielen Fällen leiden Patienten an Schmerzen. Verursacht durch den Krebs oder die Behandlung. Manchmal finden wir auch keine organische Ursache. Dann ist es der Schmerz, krank zu sein, nicht mehr die Dinge tun zu können, die man möchte, auf Hilfe angewiesen zu sein. Auf unserer Palliativstation im St. Ansgar Krankenhaus steht unseren Patienten ein multiprofessionelles Team zur Verfügung. Fachpflegekräfte, Ärzte, Psychotherapie, Physiotherapie, Ergotherapie, Seelsorge, Sozialdienst. Sie alle arbeiten daran, die Symptome zu lindern. Eine Lymphdrainage, psychotherapeutische Gespräche, eine andere Lagerung oder einfach ein offenes Ohr. Jeder bringt sein Können und Fachwissen in die Behandlung ein, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.


Meine Aufgabe als Ärztin ist es dabei, für die „Chemie“ zu sorgen. Schmerzmittel. Die Dosis wird der Stärke der Schmerzen angepasst. Sie sollten regelmäßig nach einem festen Zeitschema eingenommen werden. Starke Schmerzen brauchen starke Schmerzmittel. Keine Angst vor Morphinen! Bei der Verordnung lassen wir unsere Patienten nicht allein. Die Therapie wird kontrolliert, einer Sucht damit vorgebeugt. Wir sind dankbar, mit Morphinen stark wirksame Waffen gegen Schmerzen zu haben. Eben echte „painkiller“, wie das englische Wort für Schmerzmittel heißt.


Es gibt noch weitere Medikamente und auch noch andere belastende Symptome: Luftnot Schwäche, Erbrechen, Unruhe. Neben meiner „Chemie“ macht es auch hier die Mischung der Behandlungsstrategien.
Und am Ende der Behandlung im Krankenhaus steht die Entlassung an. Hier ist der wesentliche Unterschied zwischen einer Palliativstation und einem Hospiz. Auf einer Palliativstation findet eine palliative Behandlung statt, in einem Hospiz palliative Pflege.
Die meisten Menschen möchten jedoch in ihrer gewohnten Umgebung leben. Damit dies gelingt, gibt es viele ambulante Helfer: das Palliativnetz, einen Palliativpflegedienst, einen ambulanten Hospiz- und Beratungsdienst oder Palliativmediziner. Alle helfen, das Ziel zu erreichen: Leiden lindern und Begleiten.


Wann ist der richtige Zeitpunkt, den Palliativmediziner hinzuzuziehen? Da gilt: So früh wie möglich! Das Motto der Palliativmedizin, dem Leben nicht Tage, sondern den Tagen Leben zu geben (nach Cicely Saunders, Begründerin der modernen Hospizbewegung und Pionierin der Palliativmedizin) gilt in jeder Krankheitsphase. Und es gilt nicht nur für Krebspatienten. Herzschwäche, Lungenerkrankungen oder Nierenerkrankungen, sie alle sind früher oder später nicht ursächlich zu beeinflussen. Dann gilt es auch hier, Symptome zu lindern und den Patienten zu begleiten.


Und seien wir ehrlich: Es gilt für alle Menschen „den Tagen Leben geben“.

 

Ihre Dr. Liane Sickmann
Oberärztin der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin sowie ärztliche Leitung der Palliativstation

 

 

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